Wortgeschichten

Von schwangeren Katzen und «grossen» Frauen

Illustration: Tizian Merletti

«Mi Chatz isch schwanger», hörte ich kürzlich im Zug eine jüngere Person erzählen. «Unsere Sprache geht vor die Hunde!», dachte ich mir in diesem Moment. Warum? Nun, in meiner Vorstellung ist unsere Nachbarin vielleicht schwanger, unser Schnurrli hingegen ist trächtig oder eher si treit – und schon bald wird sie wärfe, jüngle oder chätzle und nicht etwa gebäre, ist doch klar. Oder?

Dass die sprachliche Trennlinie zwischen Mensch und Tier in diesem Bereich eben doch nicht ganz so gradlinig verläuft, zeigt das Schweizerische Idiotikon, zumal, wenn man sprachgeschichtlich weiter zurückschaut. Und auch sonst offenbart sich im Studium des Wörterbuchs einiges Erstaunliches.

Während im Hochdeutschen vom Hamster, über die Katze bis hin zum Rind alle weiblichen Säugetiere trächtig sind, ist dies im Schweizerdeutschen nicht der Fall: Im Wörterbuch findet sich die Differenzierung, dass häufig nur das Grossvieh (vor allem Rinder/Kühe) als trächtig bezeichnet wird, seltener das Kleinvieh oder wildlebende Tiere. Interessant ist sodann auch der Hinweis, dass das Wort nicht bodenständig, das heisst dialektal alt, ist, wie die relativ jungen Belege illustrieren. Ebenfalls nicht bodenständig ist das ganz im Norden der Deutschschweiz vorkommende Adjektiv trägig. Die beiden Wörter trächtig und trägig sind sprachgeschichtlich miteinander verwandt und gehören zum Verb träge. Si treit oder isch träge(n)d (oder je nach Region trage(n)d) ist gemäss Idiotikon die gängige und althergebrachte Bezeichnung bei Tieren, wenn sie Junge erwarten. Spannend ist, dass träge/trägend nicht nur auf das Tier beschränkt ist, sondern auch im Zusammenhang mit dem Menschen vorkommt. Den Bezug auf den Menschen kann man heutzutage kaum mehr machen, ohne grob und abwertend zu sprechen. Die historischen Belege im Wörterbuchartikel sind aber völlig wertneutral: So hinterlässt beispielsweise der verstorbene Graf Rudolf von Rapperswil «ain tochter und ain tragent wib» (14. Jahrhundert) oder über die Mutter Gottes wird gesagt, «[Maria] die dich treit und an d welt bracht het.» (16. Jahrhundert).

Während das sprachliche Repertoire in Bezug auf das Tier sehr überschaubar ist, sind die Bezeichnungen für den Menschen vielfältiger und stark in Bewegung, wie das Beispiel träge/trägend zeigt. Die bodenständige Bezeichnung für 'schwanger' sei gross, liest man im entsprechenden Idiotikon-Artikel aus dem Jahr 1888: «Wo-n-i zum elteste Bueb bin grosses gsin» wird eine Bewohnerin aus Ringgenberg (BE) zitiert oder aus dem 16. Jahrhundert ist zu lesen von «frowen, die gross kindes warent». Nun, brandaktuell ist der Eintrag nicht: Wenn eine Frau heute gross ist, denkt man sicher an eine grossgewachsene Frau, nicht an eine schwangere. Das Italienische und Französische kennen das Wort ebenfalls, dort steht grossa resp. grosse für 'dick' und ist daher noch näher an der hier verhandelten Bedeutung. Dass das Wort im Französischen früher (auch) für 'schwanger' verwendet wurde, sieht man am Substantiv, das für die Schwangerschaft verwendet wird: la grossesse. Apropos dick: Dick und hops sind gemäss Idiotikon ebenfalls wertneutrale mundartliche Bezeichnungen für 'schwanger'. Aber auch diese Wörterbuchartikel haben schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel, und man kann davon ausgehen, dass der Wortgebrauch im 21. Jahrhundert abwertend derb ist. Neben den aufgezählten Adjektiven gibt es im Idiotikon einige umschreibende Ausdrücke, die eine schwangere Person bezeichnen: Si isch i der Hoffnig, in andere (gsägnete) Umständ, in Erwartig oder si goht mit eme Chind. Diese Ausdrücke werden heute ebenfalls eher als veraltet wahrgenommen. Und das Wort schwanger selbst? Auch das ist gemäss Idiotikon nicht wirklich bodenständig. Allerdings gibt es einige alte Belege, die gegen diese Aussage sprechen. So werden Wörterbücher aus dem 16. Jahrhundert zitiert: «Eine schwangere oder tragende frauw […], die mit einem kind gadt oder gross zum kind ist, praegnans.»

Ob nun bodenständig oder nicht, von etwas liest man im Wörterbuchartikel nicht: von schwangeren Tieren. Dass im 21. Jahrhundert nun Katzen – und wahrscheinlich auch Kühe – schwanger sind, sollte nach der Lektüre dieser Wortgeschichte nicht mehr überraschen. Der Wortschatz in diesem Lebensbereich ist in Bewegung, wie auch unsere Gesellschaft in Bewegung und im Wandel ist. Wer hat noch einen agrarischen Hintergrund und spricht im Alltag über trächtige Tiere? Und bei wem ist eine Katze einfach nur ein Tier? Unser Schnurrli jedenfalls sitzt auf dem Sofa, wird geherzt und will bespasst werden: Genauso wie der Rest der Familie.

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