Wortgeschichten

Freitag, 22. Juni 2018, 19:00 MESZ: Anpfiff Rätzen – Schweiz

Die Fussballweltmeisterschaft in Russland hält für die Schweizer Nati schon in der Gruppenphase Herausforderungen bereit. Nach dem gelungenen Einstand gegen Brasilien trifft die Mannschaft am Freitagabend auf Rätzen. Dieser historische Name für Serbien leitet sich von einem Teil seiner Bewohnerschaft ab: Ein Rätz war ein griechisch-katholischer (statt orthodoxer) Serbe. Das Wort ist mit der früher gebräuchlichen Bezeichnung Raizen für die serbische Bevölkerung in der Habsburgermonarchie verwandt, die ihrerseits vom Namen der serbischen Region Raška, deutsch Raszien, stammt und vielleicht über die ungarische Entsprechung rác ins Deutsche kam.

Aber nicht nur ist die Entstehung des Wortes Rätz verschlungen, es ist ausserdem unklar, auf wen genau es sich bezieht. In Bayern bezeichnete Ratz nämlich nicht nur Griechisch-Katholiken slawischer, sondern auch solche griechischer Sprache, und in der Schweiz hiessen ausserdem albanische Reiter in fremden Kriegsdiensten Rätzen. Es wurden also Menschen ganz unterschiedlicher Sprachen gleich genannt, doch ist das laut Schweizerischem Idiotikon «bei der Unklarheit über die Völkerverhältnisse auf dem Balkan leicht verständlich». Immerhin muss die Schweiz am Freitag zum Glück nur gegen Serbien antreten und nicht auch gleich noch gegen Albanien und Griechenland...

Bekannt waren die Rätzen übrigens für ihre grossen Bärte. Schon in Utz Ecksteins Text «Klag des gloubens, der hoffnung und ouch liebe über geystlichen und weltlichen stand der christenheit» von 1525 heisst es über das Verhalten der christlichen Adeligen, dass sie «bärt zyehend glych den Rätzen», also Bärte wie die Rätzen wachsen liessen. Entsprechend ist in Bayern ein Ratzen- oder Raizenbart ein Knebel-, Kinn- oder Schnurrbart. Beim Franken Hans Sachs («Sehr herrliche, schöne und warhaffte Gedicht») sagt die Magd im 16. Jahrhundert zum Gesellen: «Secht, wie habt ihr ein Reitzenpart, ganz rüdisch, wild, dückischer Art.» – Bei den serbischen Nationalspielern der diesjährigen WM ist von auffälligen Bärten allerdings im Vergleich zu andern Mannschaften wenig übriggeblieben.


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Vom Tschutten der Bälle und Schafe
E gueti bzw. käi gueti Falle mache

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