Wortgeschichten

Mostindien – die Schweiz durch die Brille des «Postheiris»

In dieser Jahreszeit geht es wieder ans Mosten – und saisongerecht handelt unsere Wortgeschichte von Mostindien, einem scherzhaften Namen für den Thurgau.

Erfunden hat den Begriff die humoristische Zeitung «Der Postheiri», eine Publikation von der Art des heutigen «Nebelspalters», die 1845–1875 von Alfred Hartmann in Solothurn herausgegeben wurde. Der Postheiri machte sich einen Spass daraus, Kantone und Ortschaften mit einem Spitznamen zu versehen. So wurde Basel zu «Beppipopel» (der Baaselbeppi bezeichnet den Baselstädter), Stadt und Kanton Bern zu «Mutzopolis» bzw. «Mutzopotamien» (mit Anlehnung an Mutz für Bär), Gemeinde und Land Glarus zu «Schabziegeropolis» bzw. «Schabziegeranien» oder «Zigritien» (mit Bezug auf das bekannte Produkt), Graubünden zu «Blutzgerien» (nach dem Blutzger, einer Bündner Münze) und Stadt und Kanton Schaffhausen zu «Böllenopolis» bzw. «Böllenstan» oder «Böllenrepublik» (zu Bölle, Zwiebel). Für andere Namengebungen standen damalige Politiker Pate, etwa «Fazystan» für Genf (nach James Fazy) oder «Segessenland» für Luzern (nach Philipp Anton Segesser). Noch andere Namen sind nur oberflächliche, aber dennoch effektvolle Anpassungen, etwa «Andalusien» für Andelfingen, «Babel» für Basel, «Cairo» für Chur, «Honolulu» für Solothurn und «Uranien» oder «Uristan» für Uri bzw. «Urikesen» für Urner, oder aber Pseudoübersetzungen wie «Subsilvanien» für Nidwalden (in Anlehnung an Transsilvanien). Für Zürich schliesslich griff der Postheiri auf das schon von Gerold Meyer von Knonau (1804–1858) eingeführte «schweizerische Athen» zurück (die Stadt war im 18. Jahrhundert ein Zentrum der Aufklärung), das er auf «Limmat-Athen» erweiterte; der Kanton erhielt folgerichtig den Namen «Attika».

Von all den vielen Postheiri-Namen ist heute fast allein noch «Mostindien» bekannt. Dessen erste Erwähnung findet sich 1853, wo man auf einer Karikatur von Heinrich Jenny zur schweizerischen Eisenbahnpolitik im Hintergrund eine Mostbirne sieht, die mit «Most-India» beschriftet ist. Mit «Indien» hat der Name nicht direkt etwas zu tun (auch damit nicht, dass der Thurgau angeblich eine Gestalt habe, die derjenigen Indiens gleiche, wie oft behauptet wird). Es handelt sich nicht um eine Zusammenfügung von Most + Indien, sondern vielmehr um die Verschmelzung von «Most» mit dem damals bekannten geographischen Begriff «Ostindien» (eine Grossregion in Asien, die weit über den indischen Subkontinent hinausgeht). Ganz entsprechend nannte der Postheiri die Ostschweiz «Mostschweiz» (Most + Ostschweiz) und den Bodensee «Mostsee» (Most + Ostsee) oder «Mostindisches Meer» (Most + Ostindisches Meer). Anders als heute verstand man früher unter dem thurgauischen Most allerdings weniger den Apfel- als vielmehr den Birnenmost. Schon der südwestdeutsche Schriftsteller Johann Fischart (1546/47–1591), der Schaffhauser Münsterpfarrer Johann Jakob Rüeger (1548–1606) und der Zürcher Arzt und Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer 1672–1733) rühmten den Thurgauer «Berlimost», eine laut Idiotikon «vorzügliche Sorte Birnmost, die früher in Wirtschaften gleich Wein ausgeschenkt und bezahlt, auch gesotten ins Ausland verschickt wurde». Dementsprechend wird auf der genannten Karikatur von 1853 der Thurgau als Mostbirne, nicht etwa als Apfel dargestellt.

Nach der Schaffung des Begriffs «Ostindien» erhielten 1855 auch einige thurgauische Ortschaften indisch inspirierte Namen: «Arenaguhr» (Arenenberg), «Bischopspur» (Bischofszell), «Ermatapam» (Ermatingen), «Schöpsabad» (?), «Steckbornapur» (Steckborn) und «Triboldputer» (Triboltingen). Andere Thurgauer Gemeinden trugen pseudolateinische und sogar englische Namen: «Amoris villa» (Amriswil), «Cornu Romanorum» (Romanshorn), «Ladiesfield» (Frauenfeld). Und selbst Goethe wurde vom Postheiri thurgau- und birnenmostbezogen verkalauert: «Kennst du das Land, wo hoch der Birnbaum spriesst, wo trüb der Most unter der Trotte fliesst?» Wäre das nicht eine Alternative zum Thurgauerlied «Oh Thurgau, du Heimat, wie bist du so schön»?

Quellen: Schweizerisches Idiotikon Bd. IV, Sp. 541 ff.; Niklaus Bigler: Von Mostindien bis Mutzopotamien. Ortsnamen im «Postheiri», in: Festgabe für Peter Dalcher, hg. von der Redaktion des Schweizerdeutschen Wörterbuchs, Zürich 1987, S. 41–53; Peter Bretscher: Nur «Mostindien» überlebte, in: Thurgauer Zeitung, 13. Oktober 2012, S. 35.


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