Heimweh
Angeblich ist das Heimweh die Nationalkrankheit der Schweiz – höchste Zeit, ihm eine Wortgeschichte zu widmen!
Die frühesten Belege für «Heimweh», die das Schweizerische Idiotikon zitiert, stammen aus dem 17. Jahrhundert. In einer Sammlung von Scherzreden aus dem Jahr 1651 heisst es: «[Andere,] die auch ußert dem Vatterland sind, als da sind Soldaten und Handtwercksgesellen, [...] kömm etwann das Heimwee so starck an, daß si daran sterbind.» Interessant ist ein Eintrag in den ab 1667 verfassten Lebenserinnerungen des Toggenburgers Alexander Bösch, der in den 1630er-Jahren als junger Mann in Zürich Theologie studierte: «Glych am Anfang, als ich gen Zürich kamm, veillycht wegen Heimwehes und weil ich der Spyß nit Gewohnnet hatte, ohne Milch sein müeßt, bin ich in ein schwäre Krankheit gefallen» – ein Hinweis darauf, wie verschieden die Ernährung damals in Stadt und Land war.
Zum Glück gibt es für fast alles ein Gegenmittel. Die eine Möglichkeit ist, sich am neuen Ort ein Paar Schuhe zu erstehen. Das wusste ein Basler 1762: «Hattet ir nummen e bar Schue am Ort machen lo, s Heimwe wäri gly vergangen.» Die andere Möglichkeit ist, Agetebroot in das Gewand einzunähen oder in die Tasche zu stecken, also am Agathatag (5. Februar) oder am Vorabend gebackenes und (so man katholisch ist) anschliessend geweihtes Brot. Die heilige Agatha hilft nämlich nicht nur gegen Feuer, sondern schützt auch ganz besonders die Gesundheit von Mensch und Tier. Brot ist überhaupt ein Wundermittel: In Horgen kann man beispielsweise jemanden wie folgt dazu bringen, sich in einen zu verlieben: «Man nehme zwei bis drei Stücklein Brot, trage dieselben einige Tage unter den Armen, bis sie von Schweiss durchdrungen sind, und suche sie dann der geliebten Person unter die Speise zu mischen.» Aber wir kommen vom Thema ab ...
Das Wort «Heimweh» selbst muss man kaum erklären. «Weh» war in der älteren Sprache freilich viel geläufiger als in der modernen. Noch heute bekannt sind etwa das Kopfweh (das allerdings von den Kopfschmerzen bedrängt wird), das Fernweh (als Gegenwort zum Heimweh) sowie die Wehen (wörtlich die Schmerzen, die eine Gebärende hat). Wohl vergessen sind hingegen die Bezeichnungen (d)s falled («das fallende») oder s böös Weh für die Epilepsie, (d)s chalt Weh für einen mit Schüttelfrost verbundenen fiebrigen Krankheitszustand bzw. die früher auch in der Schweiz beheimatete Malaria, ds trinked Weh für das Delirium tremens und ds wild Weh für die Tobsucht. Ob Brot auch gegen alle diese Probleme hilft, weiss der Schreibende leider nicht.
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