Wortgeschichten

Das Gspäändli

Illustration: Tizian Merletti

«Wir befinden uns im Jahr 2020 n. Chr. Der ganze schweizerdeutsche Wortschatz wird vom Schriftdeutschen verdrängt ... Der Ganze? Nein! Ein unbeugsames Wort hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.» René Goscinnys berühmte Einleitung, in der es im Original um ein gallisches Dorf geht, passt auch auf unser schweizerdeutsches Wort Gspäändli, auch «Gspändli» oder «Gspänli» geschrieben – den Gefährten, Kameraden beziehungsweise die Gefährtin, Kameradin.

Eigentlich leistet unser Wort nicht einfach «Widerstand»: Es feiert vielmehr ein Comeback. Vor noch nicht allzu langer Zeit galt das Wort als veraltet, aber heute zitiert der «Entlebucher Anzeiger» einen Schüler mit «Es ist cool, meine Gspändli wieder zu sehen», und eine thurgauische Lehrerin weiss: «Eine Sprache zu lernen funktioniert am besten spielerisch und mit einem Gspändli.» Im Handumdrehen ergoogelt man überdies zahlreiche Chindsgi-, Schuel- und Klasse-Gspäändli, das Büro- und das WG-Gspäändli  sowie das Freizeit-, Kletter-, Reise-, Skischul-, Sport- und Wander-Gspäändli.

Gspäändli ist die Verkleinerungsform von Gspaa(n) oder Gspaane «Gefährte, Kamerad», das aber vom Comeback des Diminutivs nicht hat profitieren können und wohl definitiv verschwunden ist. Woher dieses Wort kommt, ist nicht sicher, es existieren zwei Vorschläge. Nach dem einen ist «Gespan» mit «Gespann» identisch. Man denkt dabei an zwei Fuhrleute, welche die gleiche «Spannarbeit» verrichten (wie das Deutsche Wörterbuch schreibt) oder an zwei Bauern, die über ein gemeinsames Zugtier verfügen (so das Deutsche Rechtswörterbuch). Kulturgeschichtlich interessanter ist der andere Vorschlag, zu dem unter anderem das Schweizerische Idiotikon neigt: Danach steht der Gespan im Zusammenhang mit mittelhochdeutsch spen, spünne und althochdeutsch spunni «Muttermilch, Brustwarze» – ein Wort, das bis heute in Spanferkel «junges, noch saugendes Ferkel» vorkommt. Gespanen wären damit ursprünglich Milchgeschwister gewesen, also nicht blutsverwandte Kinder, die von der gleichen Person – etwa einer Amme – gestillt wurden. Einer sicheren Erklärung steht im Wege, dass das Wort erst relativ spät und anfänglich nur schwach bezeugt ist, nämlich erstens im Lied eines unbekannten Minnesängers, zweitens einem solchen des Obersachsen Heinrich von Mügeln (14. Jahrhundert) und drittens in einem Schweizer Lied von 1386, das der Glarner Ägidius Tschudi zitiert: «Der tüffel ist din span und gfert», also der Teufel ist dein Gespan und Gefährte.

Warum nur ist das Gspäändli neuerdings so beliebt geworden? Gspäändli ist neutraler als Fründ, Fründin und umgekehrt persönlicher als Koleeg, Koleegin, und Kameraad, Kameraadin sind mehr als altbacken. Dazu hat es den grossen Vorteil, geschlechtsunspezifisch zu sein – es spricht Männer und Frauen gleichermassen an. Überdies eignet sich die Verkleinerungsform nicht nur für Kinder (etwa das Chindgsi-Gspäändli, den/die Mitkindergärtner/in), sondern sie bringt bei Erwachsenen auch eine gewisse freundliche Unverbindlichkeit zum Ausdruck – mein Wandergspäändli ist einfach ein netter Mensch, der mit mir mein Hobby teilt, ohne dass ich gleich mein genaues Verhältnis zu ihm festlegen muss.

(Unter Beizug einer kleinen Wortgeschichte von Hans-Peter Schifferle. – Anmerkung: Nicht zu verwechseln ist unser Gspaan(e) mit dem ostmitteleuropäischen «Gespan», der eine Amtsfunktion hat und welches Wort von slawisch župan bzw. ungarisch ispán stammt. Ebenfalls ein anderes Wort ist «Gespons» oder schweizerdeutsch Gspuusi, der bzw. das auf lateinisch spōnsus, spōnsa «Bräutigam, Braut» zurückgeht.)

 

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