Grüezi
Im Ausland gilt grüezi als das Schweizer Wort schlechthin. In der Schweiz weiss man natürlich, dass man in Bern und einigen weiteren Regionen im Westen nicht grüezi, sondern grüessech sagt. Nicht allgemein bekannt ist aber selbst hierzulande, dass es Regionen gibt, wo weder grüezi noch grüessech bodenständig sind, sondern dass es stattdessen in Basel, Solothurn, Freiburg, Wallis, der Innerschweiz, dem südlichen St. Gallen und in Teilen Graubündens (auch) guete Daag/Taag heisst.
Aber was bedeutet denn grüezi genau? Viele meinen, es stecke ein «ich grüsse Sie» dahinter, wogegen grüessech «ich grüsse Euch» bedeute. Sprachgeschichtlich ist das nicht richtig – grüezi und grüessech bedeuten das Gleiche, und zwar «grüsse Euch». Vereinfacht gesagt ist nämlich grüesse die berndeutsche und grüeze die – heute veraltende – zürichdeutsche Entsprechung von schriftdeutsch «grüssen». Das auslautende i in grüezi wiederum ist ein abgeschwächtes öi «euch», wie ja auch das auslautende ech in grüessech ein abgeschwächtes öich ist. Noch in Albert Webers «Zürichdeutscher Grammatik» von 1948 findet sich das i im Beispielsatz isch er by-n-i gsy? «war er bei euch?», ganz entsprechend dem is im Beispielsatz chömed zue-n-is «kommt zu uns». In der modernen Zürcher Mundart freilich kennt man stattdessen fast nur noch die betonten Pronomina und sagt isch er bi öi gsy und chömed zu öis. Das Grusswort grüezi ist also gleich doppelt verdunkelt – weder das z noch das i werden heute noch verstanden.
Doppelt verdunkelt? Nein, dreifach, denn wer ist es denn überhaupt, der grüsst? Es ist Gott – die Formel lautete in der älteren Mundart Gott grüez i oder, im Westen, Gott grüess ech. Ursprünglich lag hier also eine religiöse Formel vor, und das grüez bzw. grüess ist ein Konjunktiv. Die Anrufung Gottes kam früher in zahlreichen Verbindungen vor: Dem Gott grüez i bzw. Gott grüess ech, Gott grüess di entsprach beim Abschied das bhüet i Gott bzw. bhüet ech Gott und bhüet di Gott. Beim Danken sagte man vergält s Gott oder loon i Gott bzw. loon ech Gott («lohne euch Gott») oder aber dank i Gott bzw. dank ech Gott. Beim Niesen hiess es hälff der Gott respektive Gott hälff i, Gott hälff ech. Beim Essen und Trinken oder bei grossem Erstaunen sprach man gsäg-n-is Gott («segne uns Gott»), bei Überraschung, Ablehnung oder Beschwichtigung bhüet is Gott, als Warnung gnaad/gnood der Gott und als Beteuerung Gott straaff/strooff mi (zu ergänzen: wenn ich die Unwahrheit sage). Ein Ausdruck des Mitleids war Gott erbarm (s), und wenn man ein zu hartes Wort gebraucht hatte, schob man ein Gott verzie mer s nach. Den Anfang und den Abschluss einer wichtigen Arbeit machte ein walt Gott. Und auch das einleitend erwähnte guete Taag war ursprünglich ein guete Taag gäb i (ech) Gott respektive gäb der Gott.
Übrigens: Dank dem, dass die heutigen Sprecher das Wort grüezi nicht mehr sprachgeschichtlich richtig segmentieren können, hat es den Übergang vom Ihrzen zum Siezen überlebt. Wüssten die Leute heute noch, dass das -i ja ein «Euch» ist, wäre das Grusswort weithin untergegangen – und die Nordostaargauer, Zürcherinnen und Ostschweizer würden heute vielleicht wie die Innerschweizer, Baslerinnen und Preussen guete Taag sagen ...
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