Wortgeschichten

Elggerfrau und Fröuwi: Die verschollenen Schwestern des Grittibänz

Illustration: Tizian Merletti

Der Grittibänz ist ein böser Bube, ein Wunder, dass ihn der Samichlaus nicht gleich wieder vom Schmutzli in den Sack stecken lässt: Seine Brüder Grättimaa, Elggermaa, Chläus, Nuejoorjoggel und Hanselmaa hat er rücksichtlos verdrängt. Heute sind sie fast ganz vergessen (lesen Sie dazu hier).

Was noch weniger bekannt ist: Auch Schwestern gehörten einst zur Familie, bevor der Grittbänz seinen Siegeszug durch (industrielle) Backstuben und Wohnungen antrat, wobei nicht nur seine Geschwister, sondern auch andere Backzutaten (zum Beispiel Lebkuchenteig) und Daten (neben Samichlaustag auch Weihnachten, Neujahr oder der Sebastianstag am 20. Januar) den Kürzeren zogen. Der Reformator Heinrich Bulliger schrieb zum Beispiel 1549 in einem persönlichen Klausenspruch an seine Kinder (Zwingliana 1954, 58):

            Der Felix nimm zum ersten s’ horn,
            Das fröwli isse er erst morn.
            Kein ander wyb soll er noch han,
            Dann die er fröhlich essen kann.
            Wie wär er so ein guote mann,
            Wann er nit zfrüeh wett fürsen gahn.

In modernere Sprache übersetzt: «Der (im Mai 1547 geborene) Felix nehme zuerst das hufeisenförmige Gebäck, das in Frauenform esse er erst morgen. Noch soll er keine andere Frau haben als die, die er fröhlich essen kann. Was wäre er für ein guter Mann, wenn er (morgens) nicht zu früh aufstünde.»

In der volkskundlichen Literatur sind Adventsgebäcke mit den verschiedenen männlichen Bezeichnungen im frühen 20. Jahrhundert noch bestens dokumentiert. Die weiblichen fehlen da schon fast vollständig, nur im thurgauischen Felben erinnerte man sich 1920 laut Archiv für Volkskunde (1920–1921, 184) noch daran, wie man früher am Frauenfelder Klausmarkt Gebäck in Form von Elggermaa oder Elggerfrau gekauft habe. Zwei Generationen früher wurden dem Schweizerischen Idiotikon solche weiblichen Gebäckfiguren aber noch aus verschiedenen Orten gemeldet: In St. Gallen gab es zur Neujahrszeit eine Frau mit feiner Mandelfüllung. Die ebenfalls aus St. Gallen bezeugte Biberfrau dürfte im Wesentlichen dasselbe sein. Im Wallis bekamen zu Weihnachten die Kinder ein Fröüwi aus Weizenmehl (statt grobem Roggenmehl!) und Ei. Und im aargauischen Zeiningen spielte eine gebackene Frau nicht näher bestimmter Art am Kirchweihtag eine Rolle (die Kirchenpatronin von Zeiningen ist Agatha von Catania; es könnte sich daher um das am 5. Februar, ihrem Gedenktag, geweihte Agathabrot handeln, das vielerorts die Form einer weiblichen Brust hat).

Ausser Elgger- und Biberfrau sind keine genaueren Namen für diese weiblichen Formen der Jahreszeitgebäcke überliefert. Eine Grittifrau gab es vermutlich nicht, weil grätte, gritte «grätschen» bedeutet und es sich für eine Frau nicht geziemte, sich mit gespreizten Beinen zu zeigen.

Warum aber überhaupt Gebäck in Menschenform? Sogenannte Gebildbrote, also Brote mit figürlichen Darstellungen, sind in Europa weit verbreitet. Haben sie Menschengestalt, wurde diese früher oft mit (vorchristlichen) kultischen Handlungen gedeutet: Ein Mensch aus Teig könnte ursprünglich zum Beispiel als Totenopfer gedient haben. Allerdings stellt Elsbeth Liebl (Archiv für Volkskunde 1957, 13) fest, dass der Spieltrieb bei der Entstehung solcher Gebäcke nicht unterschätzt werden sollte. Wenn man aus Teig(resten) Figuren herstellen kann, dann tut man das auch. Und zwar weibliche Elgger- und Biberfrauen gleichermassen wie männliche Hanselmänner und Chläus, daneben auch Tiere (Teigosterhasen, Mandelfische, Einsiedler Schafböcke) und Figuren, deren Geschlecht irrelevant ist. Und seien wir ehrlich: Auch der Grittibänz trägt ausser seinem Namen eigentlich keine männlichen Attribute.

Kein Wunder also, wurden früher im Advent ganz verschiedene menschenförmige Gebäcke gegessen. Erst der ausgleichende Markt hat alle ausser dem Grittbänz hinweggefegt.

 

Permalink: https://www.idiotikon.ch/wortgeschichten/elggerfrau-und-froeuwi

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