Wortgeschichten

Basler, Tänzer, Italiener, Benziner. Erfolgsgeschichte einer Silbe

Illustration: Tizian Merletti

-er: gerade mal zwei mickrige Buchstaben sind eine der häufigsten Endungen deutscher Substantive. So klein, dass man sie fast übersieht – aber mächtig, wenn es um die unterschiedlichen Bedeutungsaspekte geht, die diese Silbe ausdrücken kann.

Zwei Hauptfunktionen dominieren. Einerseits dient -er dazu, Einwohner- und Herkunfts­bezeichnungen zu bilden: Ein Basler wohnt in Basel oder kommt von dort (und die Baslerin ist zumindest sprachlich ihrerseits durch die Endung -in vom Basler abgeleitet). Sehr häufig sind aus solchen Bezeichnungen Familiennamen entstanden: Wer Berger heisst, hat Vorfahren, die an einem Berg lebten (mehr zu solchen Namen hier: familiennamen.ch).

Andererseits werden mit -er Bezeichnungen für Personen gebildet, die das im Wortstamm Genannte tun: Ein Drucker druckt (zum Beispiel Bücher), ein Schwärmer schwärmt. Neben Menschen werden auch Werk­zeuge so benannt, etwa der Bohrer, mit dem man bohrt. Auch diese sogenannten Täterbezeichnungen finden sich in vielen Familiennamen: Die ersten Gerber haben von Beruf gegerbt (auch dazu: familiennamen.ch).

Das -er der Herkunftsbezeichnungen ist vermutlich aus einem Wort entstanden, das in gemeingermanischer Zeit (vor über 2000 Jahren) *warōn oder *wazōn gelautet haben muss (aber damals nirgends aufge­schrieben wurde und also nur erschlossen werden kann). Das -er der Täterbezeichnungen wurde dagegen der lateinischen Sprache entlehnt. Ein Beispiel: Vom lateinischen monēta «Münze, Münzstätte» leitet sich der lateinische monētārius «Münzer» ab. Beide wurden als frühe Lehnwörter im Althochdeutschen zu munizza und munizzāri und dann im Mittelhochdeutschen zu münze und münzære, münzer. Ausgehend von solchen entlehnten Wörtern hat sich das lateinische Suffix (die Endung) -ārius im Deutschen verselbständigt und wurde als -āri, -ære, -er auch an ererbte Wörter angefügt, zum Beispiel beim Schläfer. Dass die beiden -er-Suffixe laut­gleich, aber nicht identisch sind, zeigt sich auch daran, dass die Täter- im Gegensatz zu den Wohn- und Herkunftsbezeichnungen oft Umlaut haben: Wer tanzt, ist ein Tänzer, kein Tanzer, wer von einem Hof stammt, heisst aber Hofer, nicht Höfer.

Neben diesen häufigsten Funktionen übernimmt -er in jüngster Zeit weitere Aufgaben. In den letzten Jahren hört man oft, jemand sei beim Italiener gewesen. Gemeint ist damit nicht ein Besuch bei einem italienischen Freund (den man doch eher namentlich nennen würde), sondern in einem italienischen Restaurant. Natürlich geht beim Italiener von der Vorstellung aus, dieses Restaurant werde von einem Italiener geführt. Aber entscheidend ist das nicht: Verantwortlich für die Pizzeria Da Vinci ist laut Telefonbuch Urim Bajraktari, dessen Wurzeln vermutlich auf dem Balkan liegen. Und wer weiss, ob Rina in der Pizzeria Da Rina Chefin ist, kocht, serviert oder dem Lokal nur ihren Namen geliehen hat. Es ist auch egal, dass sie kein Italiener, sondern eine Italienerin ist: Wer dort isst, isst beim Italiener. Weder beim Inder noch beim Spanier beschwert sich jemand, wenn das Personal nicht aus den entsprechenden Ländern stammt, aber die landestypische Küche soll das Lokal schon anbieten! Diese Fügung mit bei ist übrigens nicht auf Herkunfts­bezeichnung mit dem Suffix -er beschränkt, sondern kann auch anders gebildete Herkunfts­bezeichnungen enthalten: Man kann auch beim Vietnamesen, beim Portugiesen, beim Türken, beim Asiaten essen.

Noch weiter abstrahiert ist die Bedeutung von -er schliesslich beim Benziner, dem Auto mit Benzinmotor. Das Wort Benziner kommt wie eine Täterbezeichnung daher, nur gibt es gar kein Wort benzinen, auf die es sich zurückführen liesse – am ehesten ist der Benziner eine Kurzform für Benzinmotor, wie der noch jüngere Verbrenner eine für Verbrennungsmotor sein könnte.

-er ist ein offensichtlich flexibles Wortbildungselement, dem die Aufgaben nicht ausgehen. Wer weiss, wofür es sich in Zukunft noch empfiehlt.

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heimlifeiss
Frühling auf Schweizerdeutsch: Uustag, Huustage & ...

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