Wortgeschichten

Babau, Stüübimaa, Nachtfrau und Holzmieteren

Illustration: Tizian Merletti

Wenn es wieder früher dunkel wird, hat man die Kinder abends gern im Haus und unter Kontrolle. Vermutlich brauchen heutige Eltern reale Argumente, um sie zur rechtzeitigen Heimkehr zu bewegen. Früher setzte man dagegen auf Angst und Abschreckung: Man erzählte ihnen von Schreckgestalten, die Kinder holten, wenn sie abends noch draussen unterwegs waren.

So sagte man ihnen in der Romandie und in manchen Tessiner und romanischen Bündner Orten, aber auch in Liestal, Solothurn, Messen und Zug, der Chämifäger werde sie holen, wenn sie nicht rechtzeitig nach Hause kämen. Andernorts waren es der Polizist, der Landjeger, der Pfaarer oder der schwarz (in St. Antönien der leid) Maa. Besonders im Thurgau und im nördlichen Kanton St. Gallen kam die Nachtfrau, in Brienz die Holzmieteren (die «Holzmutter»). In Schiers und in Pura war es der Lumpesammler bzw. strascee – wahrscheinlich wie beim magnàn («Kesselflicker») in Maggia und den Korbflickern in Château-d'Œx ein antiziganistischer Reflex, warf man doch Fahrenden ohnehin gern vor, Kinder zu stehlen.

Auch mit Tieren wurde die Angst geschürt. Vor allem im südlichen Kanton St. Gallen und in Glarus war es der Fuchs, in Fläsch der Schnurrfuggs, der Kinder bestrafte, wenn sie sich zu spät herumtrieben – beziehungsweise wurde ihnen damit gedroht, der Mesmer (in Schwanden GL der Schuemacher Heiri) lasse abends d Füchs uus, und weh dem, der dann noch nicht daheim sei… Oft wurden auch der Nachtchuz («Nachtkauz»), der Schuderhäuel («die Eule mit wirren Federn») und das Nachthuuri («Nachteule») genannt, in Sargans der Froushaas, in Aarau früher das Haldetier, ein Tier mit zwei Köpfen und zwei Schwänzen, das an der Halde lebt.

Weit herum warnte man die Kinder vor dem Bölimaa, Bööggelmaa, Böölimänggel, Böölibauz, Booz, Boozu, Butzi, Butzemaa, Butzibau, Babau und ähnlichen Fantasiefiguren mit lautmalerischen Namen und unbekanntem Aussehen. Den Babau, der auch im Tessin und in Romanischbünden verbreitet ist, gibt es auch in einer Variante Wauwau bzw. Wauji, die in Schiers und Visperterminen mit der Vorstellung verbunden ist, ein Hund hole unfolgsame Kinder.

In manchen dieser Vorstellungen vermischt sich die Schreckgestalt, die Kinder zum rechtzeitigen Heimkehren bewegen soll, mit andern Figuren. So ist ds wild Mannli in Schiers eine auch sonst weitherum bekannte Sagengestalt, die eigentlich nichts mit unartigen Kindern zu tun hat. Und mit dem Bölimaa wurde nicht nur vor dem Herumstreichen nach Nachteinbruch gewarnt – auch jenen, die daheim nicht wie gewünscht taten, drohte man, er stecke sie in seinen Sack. In Laufen und Sursee liess man sogar jemanden an die Tür klopfen und sagen, der Bölimaa sei da.

Gemeinsam ist all diesen und weiteren Schreckfiguren in allen Landessprachen, dass die Kinder zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein sollten – zum Beispiel nach dem Betzeitläuten. In Mastrils und Maienfeld heisst dieses abendliche Läuten der Kirchenglocken Stüübilüta, was vom Schweizerischen Idiotikon erklärt wird als Ableitung von stüübe «davonstieben», weil man bei diesem Glockenschlag die Gasthäuser verlassen muss. Es wird allerdings heute eher verstanden als «Glockenschlag, nach dem man daheim in der Stube sein soll». Was passiert, wenn man dem Gebot nicht Folge leistet, erzählte 1955 eine Gewährsfrau dem Sagensammler Arnold Büchli: Der Stüübimaa het a Ruata, und dia Kinder, wo-n er aatrifft noo 'm Stüübilüta, tuat er mit der Ruata hei. Dieselbe Figur heisst in Samedan entsprechend der Uhrzeit, zu der geläutet wird, hom da las set («Sieben-Uhr-Mann»).

Welche Bedeutung der Beginn der dunklen Nacht hat, unterstreichen auch Berichte über andere unangenehme Geschehnisse zu diesem Zeitpunkt. Aus Egnach heisst es: «Wenn die Kinder durch das Betzeitläuten am Abend nachhause gerufen werden, so sucht jedes dem andern noch einen Schlag zu versetzen; wer den letzten empfangen hat und den entfliehenden Kameraden nicht mehr weiter geben kann, der hat die Nachtschelle empfangen und muss sich schämen.» Wer in Wohlen AG während des Läutens dem Trottemueterli begegnet («ein altes Weibchen, das seinen Kopf in der Hand trägt»), der bekommt einen geschwollenen Kopf. Im Freiamt glaubte man ausserdem, es bringe Unglück, nach dem Betzeitläuten noch Brautfuder heimzuführen – besser also, man ist beizeiten in Sicherheit.

Quellen: ASV Kommentar II 2, S. 525–538; Karten II 236–238; SDS V 9–10; Id. IV 280 o. VIII 568 u. IX. 1838 M. X 1094. XII 666/7. XIV 378 u.; ABüchli 1958, 156.

 

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